Blutige Bande
Entstanden sind sie als „German chapter" der US-amerikanischen Vereinigung „Sisters in Crime". Mittlerweile sind die „Mörderischen Schwestern" ein eigenständiges Netzwerk von Krimi-Autorinnen und -Expertinnen im deutschsprachigen Raum.
Vic liebt die Oper, singt gern Arien und wenn sie Stress hat, spielt sie Klavier. Doch die junge Frau aus Chicago, die mit vollständigem Namen Victoria Iphigenie Warshawski heißt, hat noch mehr Talente: In besonders brenzligen Situationen stellt die durchtrainierte Polizistentochter auch mal ihre Kampfsporttechniken unter Beweis. Oder sie zieht in Nullkommanichts ihre halbautomatische Pistole aus der Halterung. Vic arbeitet als Privat-Ermittlerin und gilt als eine der ersten feministischen Detektivinnen in der Kriminalliteratur. Erschaffen wurde die literarische Figur in den frühen 1980ern von der amerikanischen Schriftstellerin Sara Paretsky. „Ich mochte Detektivgeschichten, aber es gefiel mir nicht, wie Frauen in diesem Genre traditionellerweise dargestellt werden – sie schienen immer entweder böse oder machtlos zu sein", erzählt die Autorin in einem Interview. „Ich dachte, die Zeit sei reif für eine toughe, schlaue und liebenswerte Privatdetektivin." So wurde die Privatdektivin V. I. Warshawski geboren. Wenige Jahre später, nachdem die Warshawski-Reihe angelaufen war, hob Sara Paretsky bei einem Brunch mit Kolleginnen im New Yorker Stadtteil SoHo ein neues Projekt aus der Taufe: die „Sisters in Crime".
Vorausgegangen waren etliche Gespräche darüber, wie benachteiligt Kriminalschriftstellerinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen waren. Mit den „Sisters in Crime" entspann sich ein international wachsendes Netzwerk von Frauen aus dem Krimi-Genre. Das Ziel war, Kriminalromane von Frauen zu fördern. Dabei sollten nicht nur die Verfasserinnen mit ins Boot geholt werden, sondern auch Leserinnen, Übersetzerinnen, Lektorinnen, Literaturagentinnen und andere weibliche Profis aus der Buchbranche.
„Krimis haben eine reinigende Wirkung"
1996 gründete sich in Frankfurt am Main eine Gruppe von sieben Autorinnen und Krimifans als „Sisters in Crime German Chapter", der deutschsprachigen Sektion des amerikanischen Netzwerkes. Wie in den USA lag ihr Fokus darauf, sich für die Förderung, Anerkennung und Professionalisierung von Schriftstellerinnen im Bereich Kriminalliteratur einzusetzen. Zwei Jahre vor der Jahrtausendwende gaben sich die deutschen Aktivistinnen den Beinamen „Mörderische Schwestern". Damit wollten sie den Fokus auf deutschsprachige Kriminalliteratur verstärken. Neuverhandlungen mit der amerikanischen Mutterorganisation über größere Gestaltungsfreiheit für die deutschsprachigen Schwestern führten schließlich zu einer Loslösung vom US-Verband. Mittelweile sind die „Mörderischen Schwestern" ein gemeinnütziger Verein mit insgesamt fast 700 Mitgliedern in ganz Deutschland, verteilt auf zahlreiche Regionalgruppen von Bremen bis Stuttgart. Zudem gibt es weitere Gruppen in der Schweiz sowie in Wien.
nter die mehr als 60 „Mörderischen Schwestern" in Berlin hat sich Heidi Ramlow gemischt. Die Kriminalschriftstellerin, Drehbuchautorin und ehemalige Fernsehregisseurin erhielt im vergangenen Jahr den Brandenburgischen Literaturpreis für ihre Erzählung „Wo der Hund begraben liegt", eine Kriminalgeschichte, die in der Nachkriegszeit spielt. Die umtriebige 81-Jährige trifft sich an jedem 13. des Monats mit ihren Mitstreiterinnen in einem Berliner Lokal im Stadtteil Kreuzberg. Dort besprechen und organisieren die „Schwestern" Lesungen, ihr Stipendiums- und Mentorinnenprogramm sowie weitere Aktivitäten. Die Mehrzahl der Krimiliebhaberinnen sei altersmäßig 50-plus, sagt die Schriftstellerin. Allerdings gebe es in der Berliner Regionalgruppe mittlerweile auch einige jüngere um die 30. „Sie schreiben gerne Psychothriller", weiß Heidi Ramlow. „Auch gibt es unter den Autorinnen immer mehr Self-Publisher." Das sei früher negativ besetzt gewesen, mittlerweile aber ganz selbstverständlich.
„Noch immer gehen mehr Krimi-Preise an Männer, bei Krimis von Frauen haben viele immer noch Häkelkrimis im Hinterkopf", sagt Heidi Ramlow im Gespräch. Stereotype Rollenbilder spiegeln sich auch im Plot vieler Romane und Erzählungen wider: „Im Krimi sind die meisten Opfer weiblich, und ich kenne keinen Krimi, in dem es Serienmörderinnen gibt", bemängelt Heidi Ramlow. Dass Frauen keine wehrlosen Opfer sind, beweist die Autorin in ihrer Kriminalkomödie „Blutroter Waschgang", in der ein Stalker zur Rechenschaft gezogen wird. Die Wahl-Berlinerin und ihre Mitstreiterinnen wollen mit dem Klischee aufräumen, dass nur Männer interessante Krimis schreiben.
Bei den „Mörderischen Schwestern" ist auch Susanne Rüster, Sprecherin der Berliner Regionalgruppe. Die mittlerweile pensionierte Richterin und Staatsanwältin erzählt im Gespräch, dass sie sich dem Polizei-Krimi verschrieben habe. „Ich weiß von Berufs wegen, wie Täter vorgehen und Ermittler analysieren", so die Kriminalautorin. Sie habe ein großes Gerechtigkeitsempfinden und viele ihrer Geschichten seien sozialkritisch, sagt die 65-Jährige. So zum Beispiel spiele ihr Debüt-Krimi „Der letzte Tanz – Kreuzberg explosiv" vor dem Hintergrund der Gentrifizierung im Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg.
Für Heidi Ramlow ist der tiefe Wunsch nach Gerechtigkeit die Triebfeder vieler Krimi-Leserinnen und Autorinnen. „Wie Grimms Märchen für Kinder haben Krimis für Erwachsene eine reinigende Wirkung", erläutert sie. „Das Böse wird besiegt und bestraft."
Gerechtigkeit im Sechs-Minuten-Takt können Interessierte auf der anstehenden „Ladys Crime Night" in Berlin erleben. Auf dieser Lesung am 12. November tragen 14 „Schwestern" ihre Kurz-Krimis vor. Jede von ihnen hat nur eine etwa sechsminütige Lesezeit zur Verfügung. „Die Aufmerksamkeitsspanne reicht nicht länger", weiß die Krimi-Expertin. Kurz vor Ende jeder Geschichte ertönt ein hörbares Herzklopfen aus dem Lautsprecher. Und ganz am Ende fällt er: der obligatorische Schuss.
Julia Christ